"Mensch, du hast etwas geschafft"
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Chanty-Mansijsk/Frankfurt - Mit dem Massenstart-Rennen an diesem Samstag beendet Kati Wilhelm ihre außergewöhnliche Biathlon-Karriere. Das Abschiedsinterview:
Im Interview blickt die dreimalige Olympiasiegerin zurück und voraus. Angst um den Biathlonsport in Deutschland hat die 33-Jährige nicht. Sie kritisiert aber die gestiegene Erwartungshaltung. Sie habe schon manchmal das Gefühl gehabt, “dass man gar nicht genug Leistung bringen kann“, sagte Wilhelm.
Wilhelm: “Eigentlich versuche ich, alles so normal wie möglich zu machen. Aber natürlich wird es beim Start schon ein komisches Gefühl sein, wenn man das letzte Mal auf die Strecke geht. Dennoch: Eigentlich ist alles wie immer: Fünf Runden laufen, viermal Schießen, das war's.“
Wilhelm: “Die Gewissheit, alles erreicht zu haben ohne zu wissen, ob es so weitergeht. Es gibt mir keiner die Garantie, dass ich auch im kommenden Winter noch ganz vorne dabei bin. Dass ich bei Olympia am Ende in der Staffel noch meine Medaille geholt habe, war ein schöner Abschluss. Außerdem geht es sowohl physisch als auch psychisch an die Substanz, wenn man so viele Jahre dabei ist. Wenn die WM im kommenden Jahr gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich bis dahin weitergemacht. Doch zwei Jahre sind ein langer Zeitraum “
Wilhelm: “Das sind natürlich immer die Momente, in denen man etwas gewonnen hat. Zum Beispiel die Medaillen bei den Olympischen Winterspielen 2006, wo ich dem Druck standgehalten habe. Eigentlich merkt man aber gar nicht, was man alles geleistet hat, solange man selbst noch dabei ist. Das registriert man erst, wenn andere einen darauf ansprechen oder jetzt an den Reaktionen nach meinem Rücktritt. Eine Fernsehmoderatorin hatte einen richtigen Klos im Hals, als sie meine Entscheidung verkündet hat. Da habe ich gedacht: Mensch, du hast etwas geschafft. Da war ich schon ein bisschen stolz.“
Wilhelm: “Spaß hat es die ganze Zeit gemacht, bis zum Schluss. Aber man hat schon manchmal das Gefühl, dass man gar nicht genug Leistung bringen kann. Da kommt man als Zweite abgekämpft ins Ziel, ist selbst zufrieden und die erste Frage lautet, woran hat es gelegen. Das ist schon heftig. Wir haben die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren mit Erfolgen natürlich auch ganz schön verwöhnt. Aber es ist schon schade, dass sich über einen vierten Platz keiner mehr freut.“
Wilhelm: “Die Leistungsdichte ist brutal dicht geworden, man muss immer hundert Prozent geben. Wenn du im Sprint einen Fehler schießt, hast du eigentlich keine Chance mehr auf den Sieg. Früher gab es welche, die konnten gut schießen und andere, die waren stark in der Loipe. Heute können alle alles. Außerdem ist das Interesse an unserer Sportart extrem gestiegen. Und mit dem riesigen Medieninteresse ist eben auch der Erfolgsdruck angewachsen. Aber ich bin froh, das alles mitgemacht zu haben. Ich bin irgendwie mit dem Biathlon mitgewachsen.“
Wilhelm: “Das hoffe ich nicht, und ich rechne auch nicht damit. Mit Magdalena Neuner und Andrea Henkel bleiben ja auch noch zwei Leistungsträgerinnen, zudem kommen einige junge Athletinnen nach. Für sie ist es jetzt endlich die Chance, sich im Weltcup dauerhaft zu beweisen. Wir Alten haben in der Vergangenheit ja schon die Plätze blockiert, da war es schwer, für die Jungen richtig Fuß zu fassen. Allerdings muss man sich schon darauf einstellen, dass das Team in der Breite erst einmal nicht mehr ganz so gut aufgestellt ist.“
Wilhelm: “Ich begrüße auf jeden Fall, dass Frauen und Männer wieder näher zusammenrücken und ein Team bilden. Das hat zuletzt doch etwas gefehlt. Ansonsten muss man abwarten, was passiert, bisher ist ja noch vieles Spekulation. Aber wenn zum Beispiel der Ricco Groß für die Frauen verantwortlich wird, dann sorgt der sicherlich für frischen Wind. Der Ricco wird dann richtig Gas geben.“
Wilhelm: “Vorstellen könnte ich es mir schon, im Biathlon-Bereich zu bleiben. Dann würde der Abschied am Anfang nicht ganz so schwer fallen. Aber ein Trainer-Diplom werde ich sicher nicht machen. Ich freue mich einfach auf die neuen Herausforderungen, die jetzt kommen. Ich hoffe, dass sich etwas Forderndes ergibt, denn das brauche ich, das habe ich auch während meiner Karriere immer gebraucht. Außerdem freue ich mich auf die Zeit mit der Familie, die ja vielleicht auch irgendwann mal größer wird.“
Wilhelm: “Mal wieder Zeit für sich und die Familie zu haben. Wir sind als Biathleten ja viel unterwegs. Und auf einen schönen Urlaub. Bis zum Sommer habe ich zudem auch noch ein paar Termine, es ist auch noch ein großes Abschiedsfest in meiner Heimat geplant."
Interview: Lars Reinefeld, dpa