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Missbrauchsgutachten: Schwerste Vorwürfe gegen Rosenheimer Pfarrer (†88)

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Von: Thomas Stöppler, Michael Weiser

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Schwer belastet: Der 2018 verstorbene Seelsorger Rudolf Kassian Greihansel.
Schwer belastet: Der 2018 verstorbene Seelsorger Rudolf Kassian Greihansel. © Schlecker/re

Die Schockwellen des kirchlichen Missbrauchsskandals erreichen Rosenheim: Ein 2018 verstorbener Pfarrer, der in Rosenheim jahrzehntelang als Krankenhausseelsorger diente, wird im Missbrauchsgutachten und durch die Staatsanwaltschaft schwer belastet.

Rosenheim - Haben hohe Geistliche im Münchner Erzbistum den fortgesetzten Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Pfarrer geduldet? Das ist eine der Fragen, die das Bistum in einem Gutachten geklärt wissen wollte. 2021 stellten die Anwälte der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSV) ihr Gutachten fertig. Seitdem prüfte die Staatsanwalt München I die Dokumente. Das Ergebnis der Prüfung ist erschütternd.

Auch für Rosenheim. Dort war Rudolf Kassian Greihansel seit 1965 als Krankenhausseelsorger tätig. Ein Geistlicher, der schon mit schrecklicher Vorgeschichte nach Rosenheim kam. Anfang der 60er war der in der Diözese München-Freising tätige Priester verurteilt worden. Und zwar wegen der fortgesetzten schweren Unzucht mit Kindern. Die Geschädigten waren zehn bis 13 Jahre alt. Im Falle eines Kindes verzeichnen die Unterlagen des Gerichts 50 Übergriffe.

Der Priester missbrauchte Kinder noch im Messgewand

Teilweise hatte der Priester die Taten „in sein Messgewand gekleidet in der Sakristei“ verübt. Das Gericht hielt damals in der Urteilsbegründung fest, dass die Vorfälle so häufig gewesen seien, dass sich „nicht mehr klären ließ, an welchem Tag und in welchem Monat sie sich ereignet haben“.

Er wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Greihansel scheint in der Haft erwogen zu haben, seinen Beruf aufzugeben. Das Erzbischöfliche Ordinariat - insbesondere der damalige Generalvikar Defregger - stimmten ihn in Briefen offenbar um.

Auch in Rosenheim blieb der Priester gefährlich

Nach seiner Entlassung blieb Greihansel gefährlich für junge Menschen. Auch in Rosenheim. Anfang der 2000er Jahre, 40 Jahre nach dem ersten Urteil und lange, nachdem er in Rosenheim Seelsorger geworden war, kam es zu weiteren Vorwürfen. Der Priester solle im Klinikum Rosenheim eine „zu intensive Nähebeziehung zu den Krankenhausministranten“ pflegen.

Die Ermittler gingen dem WSV-Gutachten nicht nur in diesem Fall gründlich nach. Sie befragten auch Ministranten Greihansels - und erfuhren erschütternde Details über Taten zwischen 1999 und 2001. In einem Fall soll der Seelsorger einen Ministranten im Lift des Klinikums aufgefordert haben, in seine Hosentasche zu greifen, um sich von dem Buben berühren zu lassen. In einem anderen Fall ging Greihansel zusammen mit einem Ministranten in seine Privatsauna und berührte ihn unsittlich.

Die Kirche stellte den Missetäter kalt, zeigte ihn aber nicht an

Schließlich wurde, so steht es im Gutachten, in einer Sitzung mit Kardinal Wetter „die Entpflichtung des Priesters aus der Krankenhausseelsorge“ und 2003 die Versetzung in den Ruhestand beschlossen. Womit sich Greihansel aber nicht abfinden wollte. Der Priester selbst bat Kardinal Wetter einige Monate später schriftlich per Gnadengesuche, seine Versetzung in den Ruhestand rückgängig zu machen.

Greihansel behauptete laut Gutachten, er habe eine Kastration vornehmen lassen, um jedes Restrisiko ausschließen zu können. Ob ein solcher Eingriff tatsächlich stattgefunden hat? Die Akten geben darüber keine Sicherheit. Sicher erscheint laut Gutachten, dass Kardinal Wetter um die, wie er sich ausdrückte, „schwierige persönliche Situation“ Greihansels wusste.

Verfehlungen des Priesters waren weithin bekannt

Die Verfehlungen Greihansels scheinen sich überhaupt herumgesprochen zu haben. In einem Schreiben kurz nach der Ruhestandsversetzung wies ein Kollege aus Rosenheim darauf hin, dass Greihansel dringend ein anderes Umfeld benötige. Er suche sonst weiterhin den Umgang mit den Krankenhausministranten. Eine Gefährdung der Jugendlichen sei nicht auszuschließen. „Machen wir uns nicht schuldig an den Jugendlichen?“, fragte der besorgte Kollege. „Und welchen Skandal wird es geben, wenn das an die Presse gelangt?“

Noch nicht einmal kirchenrechtlich wurden die Untaten geahndet. Offenbar wurde erst 2010 derlei überhaupt erwogen. Damals waren Beschwerden eingegangen, dass der Priester trotz seiner Verurteilung in den 60er Jahren weiter die Eucharistie spende. Eine interne Untersuchung verlief jedoch offenbar im Sande, der Vorgang wurde laut Gutachten „zu den Akten gelegt“.

Die Kirchenoberen unternahmen nichts gegen die Täter in den eigenen Reihen

Die Kirchenoberen - im Gutachten ist zu diesem Fall unter anderem von Kardinal Döpfner und Kardinal Wetter die Rede - waren laut WSV über den Fall informiert. Und zwar über die Verurteilung ebenso wie über die Verfehlungen Greihansels in Rosenheim.

Die Reaktion der Kardinäle beurteilen die Anwälte von WSV insgesamt vernichtend: Die Kirchenfürsten hätten „keine zielführenden Maßnahmen“ unternommen. Vielmehr, so heißt es an anderer Stelle, hätten sie den Schutz der Kirche über den Schutz von Menschen gestellt.

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