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Zitronen statt Bußgeld: Hochstätter Schüler kontrollieren den Verkehr für die Rosenheimer Polizei

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Von: Paula L. Trautmann

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Polizistin Michaela Schödl richtet den Laser auf die Straße. Kommt ein Auto, sollen die Mädchen einschätzen, wie schnell es fährt und ob der Fahrer das Tempolimit einhält.
Polizistin Michaela Schödl richtet den Laser auf die Straße. Kommt ein Auto, sollen die Mädchen einschätzen, wie schnell es fährt und ob der Fahrer das Tempolimit einhält. © Trautmann

Statt in den sauren Apfel mussten an diesem Vormittag viele Autofahrer in eine Zitrone beißen. Die Viertklässler der Hochstätter Schule haben den Verkehr für die Polizei kontrolliert – eine Aktion mit lustigen Momenten und einem Notfall.

Hochstätt – Ein Polizist winkt das erste Auto auf den Parkplatz der Schule. Karl-Heinz aus der 4b tritt an den Wagen heran und stellt sich bei der Fahrerin vor. Er scheint etwas nervös. „Sie sind nicht zu schnell gefahren, deswegen bekommen sie eine Schokolade“, sagt der Schüler und sieht zu Jugendverkehrserzieher Wolfgang Werner. Da war ja was. Der Mann in Uniform sucht nach den Süßigkeiten. Ein Blick in den Dienstwagen, dort sind die Riegel eingesperrt. „Ich muss sie vertrösten, die Kollegin hat den Schlüssel“, sagt Werner. Die Frau muss ohne Schokolade weiterfahren.

Polizist mahnt zur Vorsicht

Zwei Minuten später gibt der Jugendverkehrserzieher den Schülern die Schokoriegel und Zitronenscheiben in einer Box. Denn wer zu schnell fährt, muss in die saure Frucht beißen. Und sofort ist es soweit. „51, einen Kilometer pro Stunde zu schnell“, rufen die Kinder von der Laserstation ihren Klassenkameraden zu. Und die jubeln. Ein Schüler erklärt der Frau in dem roten Kleinwagen, dass sie zu schnell gefahren ist. „Ich beiß gern in die Zitrone, sauer macht lustig“, sagt sie. Doch sie kneift die Augen zusammen und verzieht das Gesicht. Jugendverkehrserzieher Werner bedankt sich für die Teilnahme und mahnt zur Vorsicht in der Nähe von Schulen.

Den nächsten Fahrer erwischen die Schüler mit 65 Kilometer pro Stunde. „Ach du meine Güte“, ruft ein Mädchen, als der Wagen einbiegt. Die Autofahrer sind meist gut gelaunt, essen die Zitrone und entschuldigen sich bei den Kindern. Die sind mittlerweile Profis. „Ihr macht das super“, sagt Werner. Auch die Fahrer loben die Viertklässler, sie finden die Aktion „super“ und „lehrreich“.

Nur ein älterer Herr scheint verzweifelt: „Kinder i hab eich wirklich lieb, aber i hab an Notfall.“ Sein Hund werde in zehn Minuten eingeschläfert und er müsse zum Tierarzt. Die Schüler zeigen sich schockiert und geben dem Mann eine Trostschokolade. Schließlich hat er sich trotz seiner Notlage an das Tempolimit gehalten.

Ab 69 km/h gibt es eine Anzeige

Die letzte Frau, die die Kinder erwischen, ist 72 Kilometer pro Stunde gefahren. Eine Schülerin belehrt sie und will ihr gerade eine Zitrone anbieten. Doch wer im Ort mehr als 69 Kilometer pro Stunde fährt, bekommt eine Anzeige. „Wenn sie wieder fahren, ist das wie ein Walk of Shame“, sagt Polizistin Michaela Schödl. Die Autofahrer schämten sich also, weil die Kinder wissen, dass sie zu schnell gefahren sind.

Weil er 44 Kilometer pro Stunde gefahren ist, belohnt ein Schüler diesen Mann mit einem Schokoriegel.
Weil er 44 Kilometer pro Stunde gefahren ist, belohnt ein Schüler diesen Mann mit einem Schokoriegel. © Trautmann

Es ist kein Einzelfall, dass sich die Bürger in diesem Bereich nicht an das Tempolimit halten. Die Zuständigen von Polizei, Schule und Kindergarten fordern deshalb eine 30er Zone. Das Gartentor des Kindergartens liegt an der Straße. Es gibt keinen Zebrastreifen und keine Ampel, nur eine Fußgängerüberquerung. Nach Angaben von Volker Klarner, Dienststellenleiter der Rosenheimer Polizei, hat die Verkehrsbehörde den Antrag dennoch abgelehnt.

Landratsamtsprecherin Tanja Pfeffer zufolge haben Mitarbeiter der Tiefbauabteilung und der Verkehrsbehörde die Verkehrssituation vor dem Kindergarten an mehreren Tagen überprüft. Die Straße werde nur wenig befahren und die Inspektion habe keine Gründe für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Kilometer pro Stunde ergeben. Deshalb wurde der Antrag abgelehnt.

Das enttäuscht Rektorin Andrea Klöpfer nach eigenen Angaben. Sie hat die Polizei gebeten, die Aktion an ihrer Schule durchzuführen. „Wir haben unheimlich viel Verkehr in der Früh“, sagt die Schulleiterin. Obwohl es Parkplätze an der Schule gibt, halten Eltern an der Bushaltestelle – eine „horrende Parksituation“. Zudem führen viele Menschen zu schnell in dem Bereich. Deshalb sei die Arbeit der Jugendverkehrserzieher wichtig, damit die Kinder einschätzen können, wie schnell ein Auto ist.

Gespür verbessert sich nach einigen Versuchen

Das lernen sie an der Laserstation mit Polizistin Schödl. „Wie schnell darf man hier fahren?“, fragt sie eine Mädchengruppe. Die Hände der Kinder schnellen in die Höhe. Sie kennen das Verkehrslimit. Schödl fragt nach den Erfahrungen der Mädchen mit Rasern und wie sie sich dabei gefühlt haben. Die Antwort: nicht gut. Die Schülerinnen geben zu, dass sie die Geschwindigkeit schlecht einschätzen können. „Deshalb sind wir hier“, sagt die Polizistin und richtet den Laser auf das erste Auto. Die Mädchen schätzen die Fahrzeuge meist langsamer ein, als sie wirklich sind. Nach einigen Versuchen verbessert sich ihr Gespür.

Eine Klasse verschwindet

An der dritten Station lernen die Kinder, was ein toter Winkel ist. Dafür haben die Beamten einen Polizeibus vor der Schule geparkt. Auf dem Boden liegt eine orange Plane in Form eines Dreiecks. Sie symbolisiert den toten Winkel. Jeder Schüler darf einmal auf den Fahrersitz, um sich zu überzeugen, dass seine Mitschüler in dem Winkel nicht zu sehen sind.

Wie gefährlich der tote Winkel ist, zeigt die Beamtin Maria Thome den Kindern.
Wie gefährlich der tote Winkel ist, zeigt die Beamtin Maria Thome den Kindern. © Trautmann

„Seht ihr, wir lassen eine ganze Schulklasse verschwinden“, sagt Polizistin Maria Thome. So veranschaulicht die Beamtin, wie gefährlich der tote Winkel ist. Das ist ein Vorgeschmack auf die Jugendverkehrsschule. Dort werden die Schüler ihren Radführerschein absolvieren. Doch in den Köpfen der Viertklässler ist das noch weit weg. Sie wollen die Sirene des Polizeibusses hören, das Blaulicht anwerfen und gemeinsam im Bus sitzen. Thome erfüllt ihnen den Wunsch. Und so quetschen sich zehn Schüler in den Bus, der gar nicht mehr aufhört zu wackeln.

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