Rentnern endlich ihre Führerscheine nehmen!?

Landkreis - Langsam und unsicher fahrende Rentner bringen uns oft zur Weißglut. Aber wie sicher fahren Rentner eigentlich? Bauen sie wirklich viele schwere Unfälle? Ein Kommentar:
Wer kennt das nicht: Endlich hat man den Verwandtenbesuch am Sonntag hinter sich gebracht, hat aber noch eine lange Heimfahrt vor sich. Doch dann immer das Gleiche. Der "Sonntagsfahrer" vor einem schleicht mit 70 km/h über die Landstraße. Wie lästig! Man will doch endlich heim und den Sonntagabend genießen.... Und dann fahren diese Sonntags-Schleicher auch noch so unsicher und gefährden alle anderen.
Gerade in der Redaktion kann ich zusehen, wie schreckliche Unfälle von Rentnern diese Vorurteile schüren. So zuletzt der tödliche Unfall auf der B12 bei Maitenbeth (Landkreis Mühldorf). Ein 70-jähriger Mann kam aus bisher unbekannten Gründen auf die Gegenfahrbahn und prallte frontal in einen entgegenkommenden Lkw. Der Mann starb noch an der Unfallstelle. Sofort tauchen bei Facebook die (für mich) zu erwartenden Kommentare wie "Immer diese Rentner", "Nehmt doch Rentnern endlich ihre Führerscheine weg" auf. Auch ich möchte mich bei diesen Gedanken nicht ausnehmen. Die Vorurteile sind einfach zu groß.
Ein Faktencheck soll Klarheit bringen
Doch bauen Rentner wirklich so viele Unfälle? Und wie schwer sind diese Unfälle eigentlich? Lassen sich alle Rentner dabei über einen Kamm scheren? Ein kleiner Faktencheck hilft, um die Situation auf Deutschlands Straßen zu beleuchten:

Fakt ist, Rentner bauen meistens spektakuläre Unfälle. Das bestätigt auch Stefan Sonntag, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd auf meine Nachfrage. Klassische "Rentner-Unfälle" sind laut Sonntag das Verwechseln von Gas und Bremse oder auch "Rentner kracht gegen Hausmauer". Es werden jedoch kaum Menschen dabei verletzt. Diese Unfälle sind ungewöhnlich, spektakulär und werden von den Medien aufgebauscht, so Sonntag weiter. Aus meiner Sicht muss ich sagen: Warum auch nicht? Es sind spektakuläre Meldungen und genau das, was die User mit am meisten lesen. Warum also nicht darüber berichten? Schließlich berichten wir auch über andere Unfälle, gerade wenn der Verkehr dadurch beeinträchtigt ist. Aber haben Senioren es deswegen verdient, in ihrer Freiheit beschnitten zu werden?
Senioren wenig an Unfällen beteiligt
Ein weiterer Fakt ist, ältere Autofahrer sind bei Unfällen mit Personenschäden wenig beteiligt. In Zahlen: 70.856 ältere Menschen waren im Jahr 2014 in Deutschland an Unfällen mit Personenschaden beteiligt, das waren laut statistischem Bundesamt 12,6 Prozent aller Unfallbeteiligten. Senioren haben damit im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil eine unterproportionale Unfallbeteiligung.
Natürlich weisen ältere Autofahrer auch Schwächen wie eine Verschlechterung des Sehvermögens und die Verringerung der Reaktionsgeschwindigkeit auf, das ändert allerdings nichts an den reinen Zahlen. Auch fahren sie wesentlich weniger als jüngere Menschen. Das Fazit ist bei diesem Punkt also eindeutig: Rentner fahren verhältnismäßig sicher Auto. Und deswegen soll ihnen der Führerschein entzogen werden?
Ältere bauen die meisten Unfälle bei geringer Geschwindigkeit

Ein weiterer Fakt: Ältere Autofahrer sind meistens in Kreuzungs-Crashs verwickelt. Also hauptsächlich bei Unfallsituationen, bei denen es um Vorfahrt oder ums Wenden geht. Dabei sind die Geschwindigkeiten so gering, dass die Folgen hauptsächlich kleinere Blechschäden sind. Menschen kommen bei diesen Unfällen selten zu Schaden. Hauptursache für diese Unfälle ist laut statistischem Bundesamt, dass ältere Menschen in komplexen Situationen schneller den Überblick verlieren. Auch die ADAC Unfallforschung bestätigt diese Ergebnisse. Die Unfallursachen deuten somit eher auf altersbedingte Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit als auf leichtsinniges Verhalten hin. Haben Senioren es dafür verdient, ihren Führerschein und damit auch ihre Freiheit aufzugeben?
Gesundheits-Checks als Pflicht für Senioren?
Viele werden jetzt denken, es sollten Gesundheits-Checks für Senioren eingeführt werden. In einigen anderen europäischen Ländern ist eine solche Überprüfung längst gang und gäbe. In den Niederlanden müssen Autofahrer ab 70 alle fünf Jahre zum Gesundheitscheck, die Briten alle drei Jahre. In Italien gelten noch härtere Regeln: Ab 50 müssen Autofahrer dort alle fünf Jahre einen Gesundheitscheck absolvieren und ihren Führerschein erneuern, ab 70 alle drei Jahren.
Die sieben risikoreichsten Autofahrjahre
18- bis 24-jährige Verkehrsteilnehmer haben immer noch das mit Abstand höchste Unfallrisiko im Straßenverkehr. Laut statistischem Bundesamt verunglückten 2013 in Deutschland insgesamt 66.997 junge Männer und Frauen dieser Altersgruppe im Straßenverkehr, 493 junge Erwachsene wurden getötet. Damit waren 17,8 Prozent aller Verletzten und 14,8 Prozent aller Getöteten im Straßenverkehr im Alter von 18 bis 24 Jahren, obwohl nur jeder 13. der Gesamtbevölkerung (7,9 Prozent) dazu zählte. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung war auch das Tötungsrisiko der 18- bis 24-Jährigen fast doppelt so hoch.
Überraschend ist jedoch, zu welchem Fazit die Europäische Kommission für Mobilität und Transport in ihrer aktuellen Studie vom 19. März 2015 kam. Sie verglich beispielsweise Schweden mit Finnland (wobei Schweden keine Gesundheitschecks vorsieht) und stellte fest, dass die Todesrate bei älteren Autofahrern dieser Länder absolut vergleichbar ist. Auch eine australische Studie kam zu ähnlichen Ergebnissen. Allerdings verzeichnet Finnland eine höhere Todesrate bei älteren Fußgängern, weil viele der Senioren ihren Führerschein verloren haben und deshalb "ungeschützt" am Straßenverkehr teilnahmen. Das nimmt natürlich Senioren nicht aus der Pflicht, vernünftig einzuschätzen, ob sie noch in der Lage sind, ein Fahrzeug zu führen.
Butter bei die Fische
Aber sind wir mal ehrlich: Wer ist nicht schon mal Auto gefahren, obwohl er es besser nicht tun sollte? Beispielsweise, wenn der Arm in Gips lag oder man mal einen steifen Nacken hatte. Aber man hat seinen Arbeitsalltag, seinen Rhythmus und muss seine Sachen erledigen. Schnell gibt man ein Stück seiner Freiheit auf, wenn man nicht Autofahren kann oder darf. Darum ist es für mich mehr als verständlich, dass Senioren so lang wie möglich ihren Schein behalten und sich nicht von anderen abhängig machen wollen. Zu gern würde ich bei meinen Vorurteilen gegen Rentner beim Autofahren bleiben, aber die Fakten sprechen wohl eindeutig dagegen. Vielleicht habe ich sie ja im Kopf, wenn ich das nächste Mal auf den schleichenden Rentner vor mir schimpfen will.
Verfasst von Martina Hunger (martina.hunger@ovb24.de)