Zur Beruhigung ins Gesicht fassen: Warum es sich Politiker abtrainieren
Durch Berührung können wir nicht nur andere, sondern auch uns selbst beruhigen. Politiker vermeiden es allerdings, sich ins Gesicht zu fassen.
München – Bis zu 600 Mal fassen wir uns täglich ins Gesicht. Mit dieser Geste wollen wir unbewusst vor allem eines: uns in Stresssituationen beruhigen. Gerade bei Vortragenden kann man beobachten, wie sie sich während einer Präsentation oder Rede immer wieder ganz kurz an Wange, Nase, Kinn oder Ohren berühren.
Umso erstaunlicher ist es, dass sich Politiker – deren tägliches Business öffentliche Auftritte sind – diese Gesten meist verkneifen. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU) war beispielsweise bekannt dafür, ihre Hände in der für sie typischen „Merkel-Raute“ zu positionieren. Warum sich Politiker dieses natürliche „Beruhigungsmittel“ sogar abtrainieren, erklärte Physiker Harald Lesch (61) am Dienstag (24.5.) in seiner ZDF-Sendung „Leschs Kosmos“.
Körpersprache: Ins Gesicht fassen – Warum sich Politiker Geste abtrainieren

Wenn wir uns im Gesicht berühren, dann ist dies laut Wissenschaftlern ein überlebenswichtiges Phänomen. Anders als vermutet, handelt es sich laut Lesch demnach nicht um eine Übersprungshandlung, wenn wir am Rednerpult stehend unser Haar hinters Ohr streichen oder uns am Nasenflügel kratzen. Was es genau mit den unbewussten Handlungen auf sich hat und was dahinter steckt, untersuchten Wissenschaftler in einer Studie am Haptik-Forschungslabor der Universität Leipzig. Sie erhielten dabei überraschende Erkenntnisse.
Das Forscher-Team präsentierte einer Probandin, deren Gehirnströme während des Experiments mittels Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen wurden, mit einem Sichtschutz verdeckte Platten mit eingravierten Mustern. Diese sollte sie erfühlen, um das Muster später aus dem Gedächtnis nachzuzeichnen. Zwischen jeder Platte bekam die Probandin einige paar Minuten Zeit, um sich das Muster im Gehirn einzuprägen. Währenddessen ertönten aus einem Lautsprecher störende Geräusche, die die Geräuschkulisse einer Stadt simulierten. Dies verursachte bei der Teilnehmerin Stress.
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Ins Gesicht fassen: Experiment zeigt, dass wir unser Gehirn so beruhigen
Um sich von dem Stress zu beruhigen, griff sich die Probandin mehrfach spontan ins Gesicht. Dieses Verhalten entspannte auch ihr Gehirn, was sich auf dem EEG ablesen ließ. Ausgelöst wird diese beruhigende Wirkung durch den Kontakt der Hände mit den sogenannten Vellushaaren. Diese kleinen, feinen Häärchen befinden sich im Gesicht vor allem in den Regionen von Nase, Stirn und Kinn. Sie sind in der Haut umgeben von Rezeptoren, die den Berührungsreiz direkt zum Gehirn weiterleiten.
Mit einem weiteren Versuch im Labor konnten die Forscher die beruhigende Wirkung der Selbstberührung im Gesicht zeigen. Die Probandin bekam erneut Platten mit anderen Mustern vorgelegt, die sie erspüren sollte, um sie später aus dem Gedächtnis nachzuzeichnen. Wieder durfte sie sich ein paar Minuten Zeit nehmen, um sich das Muster einzuprägen. Und auch diesmal wurde sie dem Stress durch die Geräuschkulisse ausgesetzt. Allerdings fixierten die Forscher bei diesem Versuch die beiden Zeigefinger der Probandin, sodass sie sich nicht spontan im Gesicht berühren konnte – obwohl sie den Drang danach verspürte.
Durch die fehlende Berührung konnte sich auch ihr Gehirn nicht beruhigen, was sich erneut auf dem EEG zeigte. Als das Experiment beendet wurde, fasste sie sich mehrmals und kurz hintereinander in ihr Gesicht und erst dann setzte die Beruhigung ein. Erstaunlich ist außerdem, dass die Teilnehmerin die Muster aus dem ersten Experiment gut nachzeichnen konnte. Als sie beim zweiten Experiment jedoch daran gehindert wurde, sich ins Gesicht zu fassen, konnte sie sich die Muster schwerer einprägen und somit auch schlechter nachzeichnen. Das Fazit der Studie lautete deshalb: Die Möglichkeit, Stress durch Selbstberührung zu mindern, ist entscheidend für die Gedächtnisleistung.
Merkel und ihre Raute: Warum sich Politiker verkneifen, sich ins Gesicht zu fassen
Bei Auftritten in der Öffentlichkeit schickt es sich allerdings weniger, sich ins Gesicht zu fassen. Auch wenn das Verhalten eine beruhigende Wirkung hat, strahlt es gleichzeitig auch Unsicherheit aus. Politiker achten deshalb darauf, die Geste zu vermeiden und trainieren sie sich mitunter ab. Ein gutes Mittel, um sich nicht zu einem Ausrutscher verführen zu lassen, war für Angela Merkel wohl ihre „Merkel-Raute“.
Dabei hielt sie die Hände mit den Innenflächen vor dem Bauch, sodass sich Daumen und Zeigefinger an den Spitzen berührten und die Form einer Raute beschrieben. „Die Raute bedeutete Stabilität, sie war ein Symbol“, erklärte sie in der ARD-Doku „Angela Merkel – Im Laufe der Zeit“ und lüftete damit ein Geheimnis ihrer Kanzlerschaft. Beim IT-Gipfel in Hamburg im Jahr 2014 passierte es jedoch auch der damaligen Bundeskanzlerin: Sie versuchte sich am Rednerpult an einen Begriff zu erinnern, der ihr partout nicht einfiel. Während sie nachdachte, strich sie ihr Haar ganz kurz hinters Ohr – und prompt war das gesuchte Wort gefunden.
Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unseren Redakteurinnen und Redakteuren leider nicht beantwortet werden.