Merkels Corona-Strategie: Zoff um Lockdown-Alternative unter Deutschlands Top-Virologen - „Ganz sicher nicht“
Erneut sind sich Deutschlands Top-Virologen uneinig. Hendrik Streeck kritisierte Merkels Bundesregierung. Dafür erhielt er Gegenwind von Christian Drosten.
- Die Bundesregierung hat auf die steigenden Infektionszahlen mit einem zweiten, weniger harten Lockdown reagiert.
- Die Kassenärztliche Vereingung hält das in einem Schreiben für einen Fehler.
- Die Virologen um Christian Drosten kritisieren das scharf und distanzieren sich von dieser Haltung.
- Hier finden Sie die Corona-News aus Deutschland und Karten für Bayern und Deutschland, die das aktuelle Infektionsgeschehen zeigen.
Heidelberg/Berlin - Am Montag (2. November) trat der von der Regierung beschlossene „Lockdown Light“ in Kraft. Sowohl die Bundesregierung als auch die Länder sind sich einig, dass dieses Vorgehen richtig ist, um das aktuelle Corona*-Infektionsgeschehen zu bremsen. Die Politik stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse von Forschern und Ärzten. Doch es gibt auch Gegenwind.
Corona Deutschland: Virologen über Merkels Lockdown-Strategie uneins
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) veröffentlichte ein Schreiben, indem sie das Vorgehen der Bundesregierung scharf kritisiert und eine Anpassung der Strategie fordert. Die KBV setzt auf ein längerfristiges Vorgehen statt auf Lockdowns. „Der Rückgang der Fallzahlen ist politisch zwar eine dringende Aufgabe, aber nicht um jeden Preis“, heißt es in dem Positionspapier.
„Dieses Virus wird uns die nächsten Jahre begleiten“, stellen die Verfasser fest. Daher sei ein wichtiges Mittel zur Eindämmung die Akzeptanz der Bevölkerung. „Sobald sich Verordnungen als widersprüchlich, unlogisch und damit für den Einzelnen als nicht nachvollziehbar darstellen oder von Gerichten außer Kraft gesetzt werden, entsteht ein Akzeptanz- und Glaubwürdigkeitsproblem. Wir könnten diejenigen verlieren, die wir dringend als Verbündete im Kampf gegen das Virus brauchen“, fasst die KBV das Risiko, das durch Lockdowns entstehe zusammen. Stattdessen schlägt die KBV eine Strategie vor, die auf folgenden Punkten basiert:
- Abkehr von der Eindämmung alleine durch Kontaktpersonennachverfolgung.
- Einführung eines bundesweit einheitlichen Ampelsystems* anhand dessen sowohl auf Bundes- als auch auf Kreisebene die aktuelle Lage auf einen Blick erkennbar wird.
- Fokussierung der Ressourcen auf den spezifischen Schutz der Bevölkerungsgruppen, die ein hohes Risiko für schwere Krankheitsverläufe haben.
- Gebotskultur an erste Stelle in der Risikokommunikation setzen.
Die KBV will die Gesundheitsämter entlasten, indem die Bürger selbst ihre Kontakte informieren, sobald sie positiv getestet wurden. Die Basis dieser Idee lautet: Eigenverantwortung statt Bevormundung. Die Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit haben das Schreiben der KBV unterzeichnet, zahlreiche Ärzteverbände unterstützen den Standpunkt.
Deutschland: Virologen-Streit in Corona-Pandemie: Drosten vs. Streeck
Doch einige Wissenschaftler* sehen das vollkommen anders. Die Gesellschaft für Virologie (GfV) veröffentlichte als Antwort auf das Positionspapier ebenfalls ein Schreiben. Zu den Unterzeichnern zählen unter anderen auch Christian Drosten und Melanie Brinkmann. Die von der Politik um Kanzlerin Angela Merkel aktuell angeordneten Maßnahmen halten die Unterzeichner „für erforderlich und notwendig“. „Den Unterzeichnern ist bewusst, dass diese erhebliche Einschränkungen und wirtschaftlich negative Folgen mit sich bringen und deshalb nur temporär eingesetzt werden können“, heißt es weiter. Dennoch sei Deutschland von einer „exponentiellen Zunahme der Zahl an SARS-CoV-2* Neuinfektionen geprägt“.
Die GfV betonte ebenfalls, dass Risikogruppen besonderen Schutz bedürfen. „Diese Personen besser zu schützen wird unserer Ansicht nach nur über die Reduktion von Infektionen in der Gesamtbevölkerung gelingen“, erklären die Unterzeichner und widersprechen somit der von der KBV geforderten Strategie, Risikogruppen zu schützen und Lockdowns zu vermeiden.
Hinsichtlich des Vorschlags, Kontakte nicht mehr zu verfolgen schreibt die GfV: „Das Ziel, Kontakte rasch nachzuverfolgen, darf zum jetzigen Zeitpunkt auf keinen Fall aufgegeben werden.“ Zudem distanzieren sich die Unterzeichner entschieden vom gesamten Positionspapier der KBV: „Darin wird der Anschein erweckt, dass es sich um die gesammelte Meinung von Wissenschaft und Ärzteschaft handelt. Dies gilt für die Mehrzahl der Virologen/Innen sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus ärztlicher Sicht ganz sicher nicht.“
Die Auseinandersetzung der Forschenden zeigt, dass die Corona-Pandemie trotz immer steigenden Erkenntnisgewinns im Grunde immer noch Neuland ist und es weiterer Erforschungen bedarf. Um voranzukommen ist dabei wissenschaftliche Diskussion - und auch Uneinigkeiten - elementar. In einer Sache sind sich die Wissenschaftler jedoch auf jeden Fall einig: Ohne Impfstoff* wird die Pandemie nicht zu überwinden sein. (lb) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks